Constanze Vogt
Scham
Aktualisiert: 3. Jan. 2020
Denke ich an Scham, denke ich an rote Köpfe und das Gefühl "im Boden versinken" zu wollen. Scham ist ein existenzielles Gefühl. Die Daseinsberechtigung des/der Beschämten wird in Frage gestellt und es wird daher zunächst oft versucht das eigene Schamgefühl abzuwehren. In der Abwehrphase tritt Scham häufig in Form anderer Affekte auf: Rückzug, Vorwürfe, Ärger, Wut, Aggression, Depression, Resignation.
Die Fähigkeit Scham zu empfinden gilt als angeboren und wird im weiteren Heranwachsen ausdifferenziert. Es wird unterschieden zwischen innerseelischen Vorgängen, wie dem Eindruck von Peinlichkeit oder Verlegenheit, und der Bloßstellung oder Erniedrigung durch andere Personen.
Scham ist (wie jedes andere Gefühl) auch funktional. Sie ist die "Hüterin der Würde" (L. Wurmser). Unser Schamgefühl schützt uns davor uns in der Öffentlichkeit unangemessen zu präsentieren und es schützt unsere eigene Intimität. Es leitet das Wesen in der Entwicklung des Selbstkonzepts, indem wir uns im Erleben der Scham selbst reflektieren und so Werte, Konzepte und Meinungen entwickeln.
Schamgefühle richten sich nach Werten und Vorstellungen, die in einem bestimmten Kontext gelten und die von Kultur zu Kultur verschieden sind. So kann das Tätscheln eines Kinderkopfes in westlichen Ländern als freundliche Geste aufgefasst werden, bei Buddhisten hingegen ist es absolut verpönt und ein Grund zur Scham.
Ein Schamgefühl in der Gemeinschaft spiegelt die aktuellen und gängigen Werte, Meinungen und Ansichten wider. Scham ist die Schnittstelle zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft und regelt das Zusammenleben. Empfinden wir in einer Phase unseres Lebens vermehrt Scham, kann das ein Hinweis darauf sein, dass wir uns in einer grundsätzlichen Entwicklung befinden und dass bisherige Schemata oder Gemeinschaften nicht mehr als kongruent empfunden werden.
Ein guter Umgang mit Scham fängt damit an, das eigene Schamgefühl anzuerkennen und zuzulassen. Es schließt die Frage an, welches Signal die Scham gibt: "Welches Konzept von mir wird gerade wodurch in Frage gestellt? Was wird gefährdet? Welche Zugehörigkeit wird angegriffen?" Aus der Reflexion darüber können Konsequenzen erwachsen, wie die Anpassung des eigenen Verhaltens oder aber auch die Anpassung der inneren Konzepte. Scham ist eine gewinnbringende Begleiterin in der Persönlichkeitsentwicklung. Sie verdient besondere Aufmerksamkeit - im persönlichen, aber auch im wirtschaftlichen Kontext. Menschen, die sich ihrer Scham stellen, gehen größere Risiken ein. Sie erhalten jedoch auch die Möglichkeit, über sich hinaus zu wachsen, Verbundenheit und Vertrauen zu erfahren, das Selbstbewusstsein zu stärken und letztlich die Scham zu überwinden.